Mittwoch, 13. August 2014

Das Geheimnis der Gottseligkeit I

Gastbeitrag von Jakob Ganz

CHRISTUS IN UNS

ist der Hauptgrund, um den sich alles dreht, und auf den alles ankommt, wenn wir wieder inunsern ersten Ursprung eingehen, und hiermit wesentlich mit Gott vereinigt werden wollen. Christus in uns ist das große Geheimnis der Gottseligkeit, das Reich Gottes in uns, das A und das O, der Anfang und das Ende, der Erste und der Letzte.

Wie nun dieser inwendig verborgene, geistige, himmlische Christus einst in der Person Jesu von Nazareth Mensch geworden, und das große Erlösungswerk äußerlich ausgeführt hat; also will eben derselbe innere, unsichtbare, geistige und himmlische Christus noch in einem jeden von uns Mensch werden, eine Gestalt gewinnen, und dieses Erlösungswerk innerlich in jedem Einzelnen ausführen; uns auch der himmlischen, göttlichen Natur teilhaftig machen, wie einst den Erstgeborenen, der in allem uns gleich war, ausgenommen die Sünde, und deswegen in allen Dingen den Vorrang hat. Lasst uns also von dem äußeren Christus im Fleisch einmal zu dem inneren Christus, dem Christus im Geist schreiten! Solange du, o Mensch! nur die äußere Person des Erstgeborenen betrachtest, und bei diesem Bild stehen bleibst, kannst du nicht zur wahren Erkenntnis Gottes und Jesu Christi gelangen, welches doch das ewige Leben ist. Du kannst nie gründlich heil, nie wahrhaftig erlöst und vollkommen werden. Dein Glaubensgebäude ruht nur auf Sand, und am Ende bist du betrogen.

Statt also nur bei der äußeren Person Christi stehen zu bleiben, musst du dein Geistesauge auf den inneren, unsichtbaren, geistigen Christus und Sohn Gottes richten, der eben in jener sichtbaren Person Jesu verborgen war, und durch dieselbe sprach und wirkte. So wird einem das Geheimnis der Gottseligkeit auf einmal aufgeschlossen, und zur höchstenVerwunderung sonnenklar, so dass es kein Geheimnis mehr ist. Damit es aber diesem himmlischen Christus gelingt, uns wieder vollkommen zu erlösen, und in unsere erste paradiesische und himmlische Heimat zurückzuführen, so müssen wir von allem Eigenwirken und Eigenwollen abstehen, uns Ihm zum Opfer hingeben, stillhalten, seiner Stimme in uns folgen, und wie ein Lamm leiden, geduldig, ergeben und gelassen, mit gewisser Zuversicht und lebendiger Hoffnung, dass das Werk herrlich werde ausgeführt werden.

Der göttliche Same zu einem neuen Menschen liegt in einem jedem. Das ist eben, was Paulus zu Timotheus sagen wollte: „Erwecke die Gabe, die in dir ist – ergreife das ewige Leben!“ Wenn Christus nach seinem Geist in uns kommt, und wir Ihn innerlich im Glauben annehmen, und uns an Ihm festhalten, so ist Er gleich hinter unserem alten Menschen her, der durch Lüste und Irrtum verdorben ist, um ihn durch allerlei Leiden von außen und innen zu kreuzigen, zu töten und ganz und gar abzutun, damit der sündliche Leib aufhöre, und wir hinfort der Sünde nicht dienen, ihr Gehorsam zu leisten in ihren Lüsten. Bei dieser geistlichen Kreuzigung, welche in der wahren Verleugnung der Welt und unser selbst besteht, haben wir also weiter nichts zu tun, als alles zu lassen, was Christus von uns fordert, weil hier Geben seliger ist als Nehmen.

Auch sollen wir nach dem Vorbild des Erstgeborenen mit Lammesgeduld leiden, bis Christus das falsche Natur- und Sinnenleben völlig getötet, das Opfer vollendet, alle uns selbst angemaßte Rechte dem Vater wieder zurückgestellt, und Ihn hiermit gänzlich befriedigt hat, dass Christus in einem solchen Menschen rufen kann: „Es ist vollbracht!“ Durch diesen Leidens- und Sterbensprozess ist nun der Mensch mit Christo in seinem Tod getauft und begraben, dem Gesetz und der Sünde für immer und ewig abgestorben, gerechtfertigt, und von der Strafe frei, und los von allen Sünden. Auch das Fortsündigen hat nun bei ihm ein für allemal aufgehört. Er steht jetzt unter dem Gesetz des Geistes, der da lebendig macht in Christo Jesu. O seliger Stand, wo der alte Sünder geschlachtet und abgetan (Rom. 8,10), die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in einem solchen geistlich gestorbenen Menschen erfüllt, und er also mit Gott dem Vater ausgesöhnt und vereinigt ist. Nun befindet sich derselbe in einer völligen Todesstille und tiefen Grabesruhe.

Alle eigene Kraft und Wirksamkeit ist verschwunden, und er geht nun auch dem Auferstehungszustand Christi entgegen. Derselbe Geist, welcher Jesum, den Erstgeborenen, vom Tode auferweckt hat, wird einen solchen Menschen auch auferwecken, ihn zum neuen, göttlichen und ewigen Leben hervorrufen, so dass er jetzt nicht mehr im alten Wesen des Buchstabens, sondern im neuen Wesen des Geistes lebt! Durch dieses geistige Sterben mit Christo wird der Mensch hier in der Zeit schon zu einer neuen Kreatur in Christo, wahrhaftig wiedergeboren, der göttlichen Natur teilhaftig, und also zu einem wirklichen Sohn Gottes umgeschaffen, dass er die Gebote Gottes wie der Erstgeborene (Joh. 12,37) vollkommen erfüllen und des Vaters Wille vollkommen tun kann. Es fällt ihm nicht schwer, sondern ist ihm ganz natürlich, eine himmlische Lust und Freude, ein sanftes Joch und eine leichte Last! Ein solcher braucht nun kein gesetzliches Wesen mehr, hat auch nicht nötig, dass ihn jemand lehre, denn er hat die Salbung von dem, der da heilig ist, und weiß alles.

Die Salbung lehrt ihn allerlei, er wandelt vor Gott wie Abraham, und wird vollkommen. Er wird selbst eine lebendige Kirche, eine Wohnung Gottes und ein Tempel des Heiligen Geistes. Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit ganzem Gemüte, ja aus allen Kräften lieben, und den Nächsten wie sich selbst! seht, das ist nun sein ganzer Gottesdienst! Alle seine bisherigen Besserungs- und Förderungsmittel zur Seligkeit sind jetzt für ihn ganz überflüssig, weil er den Zweck erreicht hat. Das Wort des Herrn wird an ihm erfüllt: „Ich will reines Wasser über euch sprengen, dass ihr rein werdet von aller eurer Unreinigkeit, und von allen euren Götzen will ich euch reinigen; und will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben, und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen, und euch ein fleischernes Herz geben.

Ich will meinen Geist in euch geben, und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln, meine Rechte halten und darnach tun. Und ihr sollt wohnen im Lande, das ich euren Vätern gegeben habe, und sollt mein Volk sein, und ich will euer Gott sein. Ich will mein Gesetz in euer Herz geben, und in euren Sinn schreiben, und ihr sollt mein Volk sein, so will ich euer Gott sein. Und keiner wird den andern, noch ein Bruder den andern, lehren und sagen: Erkenne den Herrn! sondern ihr sollt mich alle kennen, beide, klein und groß, spricht der Herr. Denn ich will eure Missetat vergeben, und eurer Sünden nicht mehr gedenken.“ (Jer. 31 u. Hesek. 36).

So lasse denn, o Seele! den geistigen Christus, den zweiten Adam, auch in dich kommen, wie er in dem Menschen Jesu war, so wirst du auch ein Sohn Gottes, dass du sagen kannst: „Ich und der Vater sind eins! meine Speise ist, dass ich den Willen des Vaters tue; dein Gesetz, o mein Gott! habe ich in meinem Herzen!“ So kannst du in diesem Leben schon dazu gelangen, dass du nicht mehr sündigst, nicht mehr zu streiten und zu kämpfen hast mit Sünde, Welt, Fleisch und Blut; denn du bist durch Christus in dir vollkommen erlöst, und mit Ihm gleicher Natur teilhaftig, also mit Ihm ins himmlische Wesen versetzt worden. Du lebst nun in der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes im Paradies, in Gott, deinem Ursprung, genießest den göttlichen Frieden, bist in sicheren Wohnungen, in stolzer Ruhe im Lande der Verheißung, in Kanaan, worin Milch und Honig fließt!

Da ist kein Leid, kein Geschrei, kein Schmerz mehr, denn das Erste ist vergangen! Der Ankläger ist verworfen, die Klagen über Schwachheit, Sünden, Unwürdigkeit und Unvollkommenheit sind verstummt, weil da kein Einwohner sagen wird: „Ich bin schwach!“ sondern: „Im Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke.“ Wenn schon der Teufel diesen glückseligen Seelenzustand beneidet, und allerlei Lästern, Schelten und Stürme zu erregen sucht, so sind das nur unbedeutende Schrecknisse und letzte Zuckungen, die dir, o unaussprechlich selige Seele, weiter keinen Schaden zufügen können! Nur Dank und Ruhm, Lob und Preis wird da gehört, und ist dies also das eigentliche Himmelreich im Menschen, wie es nach und nach überall auf der ganzen Erde sein wird.

Einen solchen starken, allmächtigen und vollkommenen Heiland haben wir an dem inneren Christus im Geist, wenn wir Ihm Platz machen, Ihm unser ganzes Inwendiges einräumen, und uns von Ihm ausarbeiten lassen. O meine teuren Geliebten! die ihr von ganzem Herzen neugeboren, neue Kreaturen in Christo werden, und Gott dienen möchtet in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit, wie es vor Ihm wohlgefällig ist; wandelt nur den kurzen, einfachen und sicheren Weg, der euch im Wort des Herrn vorgeschrieben ist. Er spricht: Wenn ihr stille bleibet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein.“ (Jes. 30,15). – Dieses Stillesein besteht in der völligen Überlassung unserer selbst, und was uns angeht, für Zeit und Ewigkeit – an Gott, dass wir nämlich nicht mehr ängstlich sorgen, nicht in eigener Kraft wirken, sondern mit unseren Sinnen, Gedanken, Wollen und Wirken uns zu Grund versenken, und uns Ihm also hingeben zum Opfer und ewigen Eigentum, damit wir Ihm nicht mehr im Wege stehen und seine gnadenreiche Wirkung in uns verhindern!

Dann erst, wenn wir uns Ihm so gelassen, ruhig, friedsam und leidend aufopfern, kann und wird Er ein Neues im Lande unseres Innern erschaffen. Er wird aus dem schrecklichen Chaos unserer selbst eine herrliche, neue und zweite Schöpfung hervorbringen. Erst dann kann der Vater seinen Sohn in uns zeugen, und uns also den Heiland innerlich senden, der uns nach und nach von dem alten Menschen befreit, und uns den neuen Menschen anzieht, der nach Gottes Gleichnis geschaffen ist. – O wer doch die ewige, unveränderliche Gemütsstille in Gott recht verstünde, die tiefe Sabbatruhe, der würde in kurzer Zeit an Geist, Seele und Leib sich verändert fühlen!

An diesem Sabbat heilt Christus, und macht den ganzen Menschen gesund. An diesem Sabbat legt Er dem Blinden Kot auf die Augen, und öffnet sie! – Als jener Kämmerer aus Mohrenland sich durch Philippus wollte taufen lassen, hieß es: „Und er hieß den Wagen stille halten.“ So muss eben der Wagen unseres Eigenwirkens, Treibens, Sorgens, Wollens und Laufens stille halten, dann können wir erst mit Geist und Feuer getauft werden! Ach wie gut kann man es doch haben, wenn man sich in Demut Gott aufopfert, und sich Ihm wie ein hilfloses Kind überlässt!

Aber sehr wenige dürfen diesen Schritt wagen; sie fürchten, ihre Seele möchte verloren gehen, sie wollen sie nicht überlassen, darum werden sie sie einst im traurigen Sinn des Wortes lassen müssen. „Wer sein Leben verliert um meinetwillen“, heißt es, „der wird es erhalten, und wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren.“ Ach, wie sind die Menschen so äußerlich und fleischlich, und verbildet worden! Wie sehr sind sie in diesinnlichen Dinge zerstreut. Ihr Herz und ihre Lust ist ganz in dieselben ergossen. Ihre Sinne sind auswärts statt einwärts gekehrt. Sie sind fast nie zu Hause bei ihnen selbst, und hören also dem ewigen Wort nicht zu, dass sie weise würden! Wer demselben hingegen beständig zuhört und gehorsam ist, hat andere Prediger nicht nötig, er ist immer in der Kirche, denn der Herr lehrt noch täglich im Tempel des Herzens, wie Er sich ehemals im Äußeren vernehmen ließ. O heidnisches Sorgen, Eigenwirken und Zappeln! du mordest Christum im Geist! Er kann ja so nicht aufkommen und eine Gestalt in dir gewinnen, wenn du Ihn so unterdrückst, obwohl du es gut meinst!

Ihr aber, die ihr euch gerne stille zum Opfer hingebt, und Gott wollt machen lassen – Ruhe mit euch und Friede in aller Fülle! Erschrecket nicht, wenn ihr schon in eurem Innern hört Krieg und Kriegsgeschrei; wenn teure Zeiten kommen, wo euch Trost und Glaubensgewissheit gebricht. Fürchtet euch nicht, wenn die Pestilenz eintritt, wo ihr alles Eigene in euch verwelken und absterben sehet; wenn ein Königreich wider das andere sich empört, d.h. wenn das Reich Gottes in euch das Reich des Satans zerstört, wo der neue Mensch mit dem alten Krieg führt, wo lauter Streit und Kampf mit Sünde, Welt, Fleisch und Blut, ja gar mit dem Fürsten der Finsternis ist. Fürchtet euch nicht, wenn sich ein Kriegsheer von schrecklichen Zweifeln, Unglauben, bösen Gedanken und grimmigen Leidenschaften vor eure Seele lagert, solange ihr den inneren Christus im Geist festhaltet, und euch Ihm stets überlasset. Alles dieses kann euch nichts schaden, sondern muss euch zum ewigen Besten dienen! Wenn alles drunter und drüber geht, so brechet getrost hindurch durch alle Donnerwetter und Gewitterstürme von Missverständnissen, Verleumdungen, Lästerungen und Verfolgungen!

Der im Himmel wohnt, lacht ihrer, und ihr könnet während der Zeit dieser Kreuzigung und Sterben mit Christo dennoch wie im Himmel sein, durch eine lebendige Hoffnung, dass diese Kämpfe und Leiden die unverwelkliche Krone der Ehren euch einbringen werden! Alles hat seine Zeit! Man muss nicht immer kämpfen, sich verleugnen und absterben. Christus im Geist macht diesem alten Menschen um so eher ein Ende, je treuer wir sind im Absterben. Der alte Sünder muss bald sterben, wenn man ihm alle Nahrung seines falschen Lebens entzieht, und nur nach ewig bleibenden Gütern strebt.


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